Anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der Einführungen der Corona-Maßnahmen und der damit verbundenen Schließung aller Gastronomien in ganz Frankreich geht es heute um eine der das Stadtbild und die Atmosphäre prägendsten Einrichtungen in Paris – die Terrasse.
80% aller Franzosen gaben bei einer Umfrage aus dem Jahr 2020 an, dass ihnen die Terrassen im Confinement (Lockdown) am meisten gefehlt hätten. Und das ist nicht verwunderlich. Die Pariser Café-Terrassen dienen nicht nur dem schnöden Trinken von Kaffee, sie sind viel mehr für die Gesellschaft unverzichtbare Orte des Austauschs. Man trifft Freunde, bespricht die Neuigkeiten und pflegt Kontakte. Nicht zu vergessen den Aspekt des „Sehen and Gesehen Werdens“.
Die Tradition der französischen Cafés und ihrer Terrassen ist quasi einzigartig auf der Welt.
Die Geschichte der Terrassen
Unter Ludwig dem XIV entstanden die ersten Pariser Café. Das Café Procope, angeblich das älteste Café in Paris, eröffnete 1686 im 6. Arrondissement und entwickelte sich zum Treffpunkt vieler Philosophen, Musiker, Schriftsteller und – dank seiner Nähe zur sich gegenüber befindenden Comédie Française – Schauspieler. Unter den Gästen befanden sich unter anderem Rousseau, Voltaire, Benjamin Franklin, Alexander von Humboldt und viele mehr. (Englischer Wikipedia Link: Café Procope)
Die Idee der Terrassen entstand etwa zur selben Zeit. Im Zuge einiger Umstrukturierungen ließ Ludwig XIV die Stadtmauer (entlang der heutigen Metrolinie 2) abtragen und richtete weitläufige Alléen ein. Entlang dieser begannen einige der Anwohner nun Tische und Stühle für die Passanten zu vermieten.
Als Haussmann im 19. Jahrhundert die Stadt komplett umstrukturierte und die heutigen Boulevards entstanden, breiteten sich dank des neu gewonnenen Platzes die Terrassen vor den Cafés aus.
Hier findet Ihr ein paar schöne Fotos aus der Zeit um 1900: À la terrasse des cafés parisiens en 1900 (Besonders gut gefällt mir als ehemaligen Münchnerin ja das zweite Bild…)
Eine Blütezeit erlebten die Terrassen in der Zeit zwischen den Kriegen, als die Menschen ein ganz besonderes großes Bedürfnis nach Ablenkung und Unterhaltung hatten. Zu dieser Zeit gab es unglaubliche 320.000 Cafés (viele davon mit Terrasse) in Paris.
Übrigens, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, zwei der berühmtesten Gäste des Café Flore am Boulevard St Germain, saßen so gut wie nie auf der Terrasse. Ihr Stammplatz befand sich im Innern des Cafés im ersten Stock.
Nicht ohne meine Terrasse…
Kurz, ohne seine Terrassen ist Paris nicht vorstellbar. 2018 gab es gar Bestrebungen, die Pariser Bistros und Terrassen als UNESCO Weltkulturerbe anerkennen zu lassen (die Französische Küche hatte das bereits 2010 geschafft). An allen Ecken – selbst in ruhigen Wohngegenden – finden sich Tische und Stühle vor den Bars, Bistros und Restaurants. Und meistens sind sie gut besetzt.
Sogar in Kinderbüchern finden die Terrassen ihren Platz…. „In Paris gibt es zwei Arten von Menschen: Leute die es sehr eilig haben und Leute, die auf den Café Terrassen sitzen.“ (Zitat: Le Loup qui voulait faire le tour du monde von Orianne Lallemand und Éléonore Thuillier – Auzou Verlag)

Zum Erfolg der Terrassen trägt mit Sicherheit auch die Tatsache bei, dass seit 2008 das Rauchen in Innenräumen von Cafés, Restaurants, Bistros und Bars strikt verboten ist. Auf den Terrassen ist es jedoch erlaubt. Und da es unter Franzosen gefühlt durch alle Schichten und Altersgruppen immer noch verhältnismäßig viele Raucher gibt*, ist es nicht verwunderlich, dass die (noch beheizten) Terrassen auch im Winter bei Kälte oder Regen rege genutzt werden.
Ich weiß, aus Umweltgesichtspunkten ist das ein Unding und wird sich mit Sicherheit in nächster Zukunft ändern. Ich bin mir allerdings sicher, dass sich die Pariser – wie bei so vielem anderen – anpassen werden. (Beheizte Terrassen in Paris – Französische Lebensart prallt auf Ökologie)
Für mich sind die Pariser Terrassen unverzichtbarer Bestandteil der Stadt. Und das war auch schon so, als ich noch „nur“ als Besucherin nach Paris gekommen bin. Erster Anlaufpunkt war immer eine der Terrassen der Stadt um eine völlig überteuerte Cola für ca. 6-8 Euro zu trinken und anzukommen.
Das (überteuerte Cola trinken) mache ich heute nicht mehr (so häufig). Trotzdem sind die Terrassen ein wichtiger Bestandteil meines „Draußen“-Lebens geblieben. Ich lese ein Buch, arbeite beim Kaffee oder treffe mich mit Freunden auf eine Pinte oder ein Glas Wein.
Ein weiterer Grund für den Erfolg der Terrassen ist meiner Ansicht nach auch folgendes: Paris ist nicht unbedingt eine „grüne“ Stadt. Es ist – auch wegen der fixen Begrenzung in Form des Péripherique (Stadtautobahnring) – sehr zugebaut. Es gibt wenig Grünflächen, die zum Verweilen einladen. Dazu kommt, dass die kleineren Stadtteilparks im Normalfall mit einsetzender Dämmerung schließen. Und im Bois de Boulogne möchte eigentlich niemand nachts unterwegs sein… Davon abgesehen trinken die Franzosen ihren Kaffee gerne „sur place“ also vor Ort und in ordentlichen Tassen.
Die Bebauung ist also eng und die Besiedelung dicht. Auch haben die meisten Pariser im Vergleich zu den Bewohnern deutscher Großstädte weniger Wohnraum zur Verfügung. Die durchschnittliche Wohnfläche beträgt hier 52qm. (im Gegensatz zu Berlin: 70qm – Stand 2008) Das Leben findet somit weitestgehend außerhalb der eigenen vier Wände statt.
Wenn man Zeit im Freien verbringen möchte bleiben neben Spielplätzen eigentlich nur die Terrassen. Zum Kaffee am Morgen, bevor man zur Arbeit fährt, zum Mittagessen oder zum Apéro, der häufig ins Abendessen mündet. Im Grund kann man den ganzen Tag auf seiner Lieblingsterrasse zubringen.
Und dann kam Covid
Im März 2020 war plötzlich alles anders.
Am Samstag den 14.3.2020 wurde gegen 20 Uhr bekanntgegeben, dass sämtliche Gastronomiebetriebe in ganz Frankreich aufgrund der Pandemie-Entwicklung auf unbestimmte Zeit schließen würden. Wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt in unserem Stamm-Bistro – auf der Terrasse.
Niemals hätte ich gedacht, dass so eine Maßnahme in Paris möglich wäre, ohne dass es zu Ausschreitungen kommt. Aber auf Grund der Situation, der herrschenden Angst und Unsicherheit blieb es erstaunlich ruhig.
Die nächsten zwei Monate (am 17.3. begann das landesweite strikte Confinement für alle mit Ausgangsbeschränkungen etc.) fühlten sich ein bisschen an, wie sonntags in einer deutschen Fußgängerzone: trist. Von heute auf morgen lebte ich nicht mehr in einem der bekanntesten Ausgehviertel Europas, in dem von Donnerstag Abend bis Sonntag Morgen Partyfeeling herrscht, sondern in einem ausgestorbenen Stadtteil, der an ruhige Vororte erinnerte.
Alles stand auf Pause. Fini les terrasses, bonjour apéro dans la fenêtre ouverte…
Les Terrasses Éphémères
Am 2. Juni durften schließlich nach Aufhebung des Confinmenets alle Gastronomien mit Außenbereich wieder öffnen. Was für eine Erleichterung! Endlich wieder ein Stück normales Leben. Aber da Paris eben nicht viel Platz bietet verfügen längst nicht alle Restaurants, Bars usw. über Terrassen. Es entstand ein völlig neues Stadtbild.
Die sogenannten Terrasses éphémères (Kurzzeitterrassen) wuchsen aus dem Boden – mit Billigung bzw. Unterstützung der Pariser Stadtverwaltung. Überall – auf Parkplätzen, Freiflächen, breiteren Gehwegen usw. – entstanden wilde Außenbereiche. Diese erst sehr provisorisch eingerichteten Bereiche wurden über den Sommer immer weiter professionalisiert. Ich nehme an, der Absatz von Paletten und Holz war lange nicht so gut.
Ganz Paris verwandelte sich in eine gigantische Terrasse (L’Auvergnat de Paris : Anne Hidalgo libère les terrasses – Französisch) (Der Spiegel: Ganz Paris ist eine Terrasse – Deutsch) Und mit den Terrassen kam ein Gefühl der Freiheit zurück (bis zum nächsten Lockdown…).
Im November wurden alle Gastronomiebetriebe erneut geschlossen. Die Terrassen blieben stehen.
Les Terrasses Éphémères… vides
Derzeit ist – abgesehen von Take-away Angeboten – immer noch alles zu. (Dazu kommt eine Sperrstunde, die um 18 Uhr beginnt.) Die überall aufgebauten Terrassen sind aber noch da. In einer Art Dornröschenschlaf warten sie auf ihre Wiederbelebung. Und wir dürfen gespannt sein, ob sie kurzlebig bleiben oder ob sie sich auf längere Sicht etablieren und ins Stadtbild einfügen werden… Vielleicht werden sie in ein paar Jahren das Erbe dieser Pandemie sein.
Meine fotographischen Eindrücke: Les Terrasses Ephemeres… vides
Kleiner Terrassen-Knigge:
- Sagt bei Ankunft „Bonjour!“.
- Seid Ihr mehr als vier Personen (die an einen Tisch passen), bemüht einen Kellner oder eine Kellnerin um Euch beim Zusammenschieben der Tische zu helfen. Es selbst zu tun, fällt unter Majestätsbeleidigung, es ohne zu Fragen zu tun könnte Euch einen Rauswurf bescheren…
- Keine getrennte Rechnung. Die Rechnung wird normalerweise vom Personal an den Tisch gebracht. Ist man zu mehreren, zahlt entweder einer alles (meist mit Karte) oder die Rechnung wird durch die Anzahl der Gäste geteilt und jeder wirft seinen Teil in den Topf.
- Trinkgeld. Ein Aufrunden beim Bezahlen gibt es nicht (oder nur sehr selten). Es wird normalerweise nach dem Bezahlen ein Betrag auf dem kleinen Plastikteller zurückgelassen. Oft weniger als die in Deutschland üblichen 10 %.
- Seid Ihr zu zweit spricht nichts dagegen, sich nebeneinander statt gegenüber zu platzieren.
*(Nach einer Studie aus dem Jahr 2017 befand sich Frankreich mit einer Quote 36% Rauchern auf Rang 3 innerhalb von Europa – nach Griechenland und Bulgarien – während Deutschland mit 25 % Rauchern sich auf Platz 11 wiederfand. Nachzulesen auf Deutsch: Tabakkonsum in Europa oder auch Deutschland drückt die Zigarette aus, Frankreich raucht weiter)
Update: Seit Juni 2021 sind die Terrassen wieder geöffnet und es werden immer mehr!
2 Kommentare zu „Pariser Terrassenkultur – Prendre un Verre en Terrasse“