Paris – Stadt der Liebe und des (Rot-)lichts

English Version

Anlässlich des bevorstehenden Valentinstags habe ich beschlossen, mich mit dem Thema „Paris – Stadt der Liebe“ zu beschäftigen. Mich interessieren hierbei weniger Tipps und Empfehlungen für den nächsten Städtetrip als vielmehr der Ursprung dieses Beinamens. (Vielleicht verrate ich am Ende des Artikels doch ein paar Plätze, die ich besonders mag ;-))
Während Paris auch in anderen Sprachen manchmal als Stadt der Liebe bezeichnet wird, dominiert dort doch eher der Begriff „Stadt des Lichts“. Nicht so in Deutschland. Aber warum ist das so?

Romantisierte Vorstellungen von Paris

Googelt man den Begriff „Paris Stadt der Liebe“ findet man unzählige Einträge über die romantischsten Orten in Paris und Tipps zu Restaurants etc. Im Großen und Ganzen dreht sich alles um Tourismusförderung. Es wird verwiesen auf Flair und emotionale Reize. Sinnliche Restaurants, die „Mûr des je t’aimes“ – siehe Titelfoto – in Montmartre (Metro Abbesses, falls sie jemand besuchen möchte) und überhaupt Montmartre! Dazu abendliche Spaziergänge entlang der Seine mit ihren schön beleuchteten Brücken, Heiratsanträge am Eiffelturm und so weiter, die meisten kennen diese Bilder.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass in Paris noch so viel alte Bausubstanz vorhanden ist und das Stadtbild so schon automatisch eine gewisse Atmosphäre produziert.

Dazu kommt der Hollywood-Faktor. Es gibt unzählige romantische Filme, die Paris als die ideale Szenerie zeigen. Da wären unter anderem „Die Fabelhafte Welt der Amelie“, „Ein süßer Fratz“ und „Charade“ mit Audrey Hepburn, „Before Sunset“ oder „Moulin Rouge“.

Bei potentiellen Parisbesuchern, die die Stadt noch nicht kennen, wird so der Eindruck erweckt, Paris sei eine große Kitsch beladene Kulisse. Es wird ein Bild gezeichnet, das nicht unbedingt der Realität entspricht. Das kann problematisch sein, denn viele Besucher – vor allem die, die im Norden oder Nord/Osten der Stadt (an der Gare de l’Est, der Gare du Nord oder dem Flughafen Charles de Gaulle) ankommen, sind erstmal schockiert über den Dreck.

Das Paris-Syndrom

Es existiert sogar ein sogenanntes „Paris-Syndrom“, das diesen Kulturschock beschreibt. Es trifft meist Japanische Touristen, die mit ihren überromantisierten Vorstellungen anreisen. Das Stadtbild mit Unordnung, Krach und Chaos entspricht so gar nicht ihren Erwartungen. Dieses Auseinanderdriften kann im schlimmsten Fall zu Angstzustände und Halluzinationen führen: dem Paris Syndrom. Es betrifft jährlich schätzungsweise zwölf japanische Touristen (Viala et al. 2004) und ist somit nicht sonderlich verbreitet. Jedoch ist seine Existenz ein Hinweis auf die Diskrepanz zwischen überhöhter Vorstellung und Sein. Man sollte nicht vergessen, dass es sich bei Paris um eine (fast) ganz normale europäische Großstadt handelt und eben nicht um eine ausschließlich in goldenes Abendlicht getauchte Filmkulisse.

Paris, Stadt der Paare

Wahr ist jedoch, dass Paris eher eine Stadt für Paare (oder zumindest Erwachsene) ist. Dichte Bebauung, schmale Gehwege, wenig bis gar keine Barrierefreiheit beim Zugang zur Metro und eng gestellte Tische in Bistros, Restaurants und Bars sind wenig geeignet für einen entspannten Familienurlaub. Das heißt nicht, dass Kinder nicht willkommen wären, aber es ist eben einfach unpraktisch. (Vor allem mit kleinen Kindern, die noch im Kinderwagen unterwegs sind, wird man durchgängig vor Hindernisse gestellt und auch Wickelgelegenheiten gibt es so gut wie keine).

Selbstverständlich findet man, wenn man über das normale Großstadtchaos hinwegsieht, in der Stadt zahlreiche romantische Orte – hübsche Plätze, kleine Bistros, die schön beleuchteten Seine-Brücken usw. In dem meisten Fällen teilt man sich diese Plätze jedoch mit vielen anderen Touristen und gerade die bekannten Cafés und Restaurants sind häufig überteuert und von Einheimischen wenig frequentiert.

Diese Mischung aus Image und Illusion des heutigen Paris liefert schon mal den Ansatz einer Erklärung für die Entstehung des Bezeichnung „Stadt der Liebe“. Ich denke allerdings, wir sollten tiefer graben…

Ist der Ruf erst ruiniert…

Persönlich denke ich, dass bei der Entstehung des Begriffs die tiefere Geschichte der Stadt eine Hauptrolle spielt. Angefangen bei der französischen Revolution, der folgenden Entwicklung der Prostitution und der Kultur der Maison Closes.

Nach der französischen Revolution wurde die Prostitution als Straftatbestand in Frankreich aufgehoben. Das führte dazu, dass sich das Gewerbe neu und offen organisierte. Im Jahr 1791 wurde gar ein Katalog mit den Adressen und Spezialisierungen aller Pariser Prostituierten erstellt, „L’Almanach des demoiselles de Paris, de tout genre et de toutes les classes“oder auch „Le Calendrier du plaisir“ genannt. Folge dieser explodierenden und zunächst ungeregelten Prostitution waren Hygieneprobleme und die unkontrollierte Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten.

Aus dieser Situation heraus entstanden die sogenannten „Maison Closes“. Bordelle, die durch die Administration reglementiert waren und so besser kontrolliert werden konnten. Es gab beispielsweise (anonymisierte) Listen der Besucher, Gesundheitschecks und klare Regelungen für infizierte Prostituierte.

Von diesen Häusern gab es im Paris des 19. Jahrhunderts mehr als 200 – ein nicht unerheblicher Teil davon befand sich im Viertel Pigalle im 9. und 18. Arrondissement.
Sie brachten der Stadt in dieser Zeit bis zum zweiten Weltkrieg den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Bordell Europas“ ein. Ihr seht vielleicht bereits, wohin die Reise geht…Die Stadt der Liebe, allerdings nicht unbedingt in romantischem Sinne.

Gleichzeitig ist das 19. Jahrhundert die Epoche der großen Kurtisanen (auf Französisch) wie zum Beispiel La Païva (geborene Therese Lachmann) oder Apollonie Sabatier. Beide trugen viel zum kulturellen und künstlerischen Leben der Stadt bei und waren Stars ihrer Zeit.

Warum ausgerechnet Pigalle?

(Diese Frage ist eine kleine Exkursion vom eigentlichen Thema, interessiert mich aber besonders, da ich heute in diesem Viertel lebe.)

An der Place St. George und der rue de Notre Dame de Lorette wurden im 19. Jahrhundert neue Häuser errichtet. Die Häuser sind im hellenistischen Stil gebaut, was dem Areal damals den Namen „Nouvelle Athènes“ einbrachte. Solltet Ihr Paris besuchen, geht an der Place St. George vorbei – einer der hübschesten Plätze in Paris, wie ich finde.
Das Problem war, dass in diese Häuser zunächst niemand einziehen wollte, da die Gipswände lange brauchten und zu trocknen, und die feuchte Atmosphäre der Wohnungen der Lunge nicht gut tat. Hier siedelten sich also zunächst Prostituierte an.

So entstand nicht nur die Bezeichnung „Lorette“ für Prostituierte (nach der benachbarten Kirche Notre Dame de Lorette). Die Prostituierten dieser Ära wurden auch häufig als Essuyeuses de Platres (Gipstrocknerinnen) bezeichnet. (Hier ein Artikel dazu in Le Figaro: L’histoire sensuelle de l’expression : «Essuyer les plâtres»)

Zur selben Zeit prägten auch die Kurtisanen (siehe oben) dieses Viertel als Figuren der besseren Gesellschaft und Musen der Künstler. An der Place St. George etwa findet sich das Hôtel de la Païva, an der Avenue Frochot residierte Appolonie in einem Gebäude mit einer imposanten Buntglasfront, die heute noch zu sehen ist. Beide Gebäude gehören noch heute zu den schönsten des Quartiers und Appolonie können wir heute noch in den Werken von Auguste Clésinger oder Vincent Vidal bewundern.

Zusammen mit den Künstlern des Viertels, unter anderem Toulouse Lautrec, der sogar eine Zeitlang in einem Maison Close – La Fleur Blanche – wohnte, entstand eine besondere Atmosphäre. (mehr Hintergrund zu seinem Schaffen: „Toulouse Lautrec et les maisons closes“)

Nachdem dem Maisons Closes im zweiten Weltkrieg – stark reglementiert durch die deutsche Besatzungsmacht – eine letzte weniger glamouröse Hoch-Zeit erlebten, fand ihr Bestehen schließlich 1946 ein jähes Ende. Mit dem offiziellen Verbot von Zuhälterei, Frauenhandel und Bordellen („Loi Marthe Richard“) verschwanden diese Häuser endgültig. Ihr Vermächtnis jedoch lebt in vielen Geschichten und ein paar verbliebenen Gebäuden weiter.

Wer die Möglichkeit hat, sollte die Bar „Carmen“ in der rue Duperré besuchen oder in einem der Zimmer im „Hotel Maison Souquet“ in der Rue de Bruxelles übernachten. Diese ehemaligen Maison Closes wurden stilistisch erhalten und übermitteln heute einen guten Eindruck der ursprünglichen Ausstattung/Einrichtung. Das Maison Souquet wurde 2019 zum romantischsten Hotel der Welt gewählt und schließt so den Kreis zum Anfang des Artikels.

Hier geht’s zur Bildergalerie auf der Hotelseite für einige Innenansichten.

In Pigalle gibt es heute noch viele Sexshops entlang des Boulevard de Clichy zwischen der Place Blanche mit dem Moulin Rouge und der Place Pigalle. Auch einige der alten Striptease Bars sind noch da – obwohl sie durch die Gentrifizierung nach und nach durch hippe Lokale ersetzt werden (aber das ist ein anderes Thema). Mehr Fotos zu Pigalle gibt es hier: „C’est quoi, Pigalle?“.

Und allen, die sich ein bisschen eingehender mit der neueren Geschichte von Pigalle beschäftigen möchten, lege ich diese Arte Dokumentation, die Ihr auf Youtube anschauen könnt, ans Herz. (In der Arte Mediathek ist sie momentan leider nicht verfügbar. Auf Youtube habe ich sie nur auf Französisch gefunden.)

Arte Dokumentation: Le Pigalle : Une histoire populaire de Paris • Reportage 2019

Und trotzdem bleibt Paris eine der romantischsten Städte der Welt, die Stadt der Liebe, mehr oder weniger real. Und wenn wir ehrlich sind, lassen wir uns doch alle gern von der Illusion verführen! Paris, Stadt des Lichts!

Ich wünsche Euch einen schönen Valentinstag!

Nachtrag

Für alle, die Lust haben, die Romantische Seite von Paris zu erkunden, hier meine persönlichen (romantischen) Highlights – manche mehr, manche weniger offensichtlich:

  • Verbringt einen sonnigen Nachmittag im Jardin Luxembourg auf den grünen Stühlen
  • Spaziert in den kleinen Straßen zwischen der Comédie Française, dem Jardin du Palais Royale, der Rue Richelieu und der Rue St. Anne (die Rue St Anne ist übringens das japanische kulinarische Paradis und absolut einen Besuch wert – vor allem die Boulangerie Aki)
  • Trinkt Café auf einer der Dachterrassen der Galerie Lafayette oder Printemps und genießt die Aussicht
  • Die Friedhöfe in Paris sind echte Kleinode. Besucht das Grab von Heloise und Abelard auf der Cimetière du Père Lachaise im 20. Arrondissement oder bummelt über die Cimetière Montmartre und sucht das Grab von Dalida oder Heinrich Heine (Fotos auf flickr…)
  • Besucht des Musée de la Vie Romantique. Es gibt im schönen Garten auch ein Café
  • Das Musée de Montmartre mit seinem Garten (les Jardins Renoir) ist ein echtes Kleinod
  • Und hier noch ein nettes Netz-Fundstück: 5 Ideen zum Nachspielen der kultigsten Szenen in Paris gedrehter Liebesfilme

Und mehr zur Geschichte der Prostitution in Frankreich findet ihr natürlich auf Wikipedia.

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